…und immer wieder das Zungenbändchen!

In meinem Bonusmaterial für die Teilnehmer der Fortbildungen habe ich inzwischen eine Seite zum Zungenband ergänzt, da dies immer wieder Thema ist.

Weit verbreitet und bekannt ist das verkürzte anteriore Zungenbändchen, der Teil also, der ziemlich gut als mehr oder weniger dickes Häutchen oder gar als fester Strang unter der Zunge sichtbar ist. Dieses Band lässt entweder die vollständige Beweglichkeit der Zunge zu oder, im Falle der Verkürzung, schränkt sie diese unterschiedlich stark ein.

Der Begriff des posterioren Zungenbands war mir bis vor Kurzem nicht geläufig. Aber man lernt ja nie aus. Dabei handelt es sich quasi um die segelartige Fortsetzung des anterioren Zungenbandes in den Zungenkörper hinein. Es gibt keine mir bekannten wirklich guten grafischen Darstellungen dazu, aber hier kann man sich vielleicht in etwa ein Bild machen.
Man geht davon aus, dass ein zu kurzes anteriores Zungenband immer auch auf ein posterior zu kurzes Zungenband hinweist. Deshalb ist es wichtig, dass nicht einfach nur der sichtbare Teil durchtrennt wird, sondern auch der etwas weniger offensichtliche posteriore Teil, um die volle Zungenbeweglichkeit herzustellen.

Mir ist tatsächlich in letzten Wochen gleich drei Mal ein Patient mit dem Verdacht auf ein verkürztes Zungenband begegnet. Das ist ungefähr so wie damals in der Ausbildung: meine erste Laryngitis mit Stimme weg und allem Drum und Dran hatte ich, nachdem wir es in Phoniatrie behandelt hatten.

Für die erste Patientin war es enorm schwierig, die Zungenruhelage am Gaumen einzunehmen, was normalerweise recht schnell funktioniert. Die Artikulation war insofern auffällig, als das zwar der Klang relativ ungestört war, man aber deutlich sehen konnte, wie die Zunge sich stark in die Seiten ausdehnt. Das selbe Bild zeigte sich dann beim Schlucken, alles interdental, vor allem lateral interdental, die Zungenspitze wich eher hinter die unteren Schneidezähne aus. Der Versuch, die Zungenspitze bei weit geöffnetem Mund an die Schneidezähne zu bringen, war praktisch nicht möglich. Die Zunge wich asymmetrisch ab, die Zungenmitte bildete eine große Schüssel, weil die Mitte quasi auf dem Boden festgehalten wurde. Das Ansaugen der Zunge gelang nur ganz kurz und dann nur bei geringer Mundöffnung.

Wer meine Fortbildungen besucht hat, der fragt sich vielleicht, warum ich das überhaupt erhoben habe. Ich habe, nachdem das Thema im Januar bei einer Fortbildung aufkam, einfach mal recherchiert und bin dann doch auf allerhand Informationen und mit Dr. Darius Moghtader auf einen sehr engagierten Zahnarzt gestoßen, der unheimlich freundlich und kompetent sein Wissen geteilt hat. Dazu später mehr. So hatte ich zumindest ansatzweise eine Idee, was ich die Patienten probieren lasse, wenn sich ein Verdacht auftut.

Ich habe meine Patientin dann zur Untersuchung an Dr. Franka Meuter in Wachenheim empfohlen, die mir wiederum von Dr. Moghtader empfohlen wurde. Und weil ich wissen wollte, wie genau das nun untersucht wird, habe ich Patientin und Ärztin gebeten, bei dem Untersuchungstermin dabei sein zu dürfen, was beide mir freundlicherweise erlaubt haben. Das im Einzelnen zu beschreiben, übersteigt meine Kompetenzen, deshalb nur ein paar Hinweise:

  • Vor allem im hinteren Bereich der Zunge Impressionen an den Zungenrändern
  • Eine sehr in die Breite tendierende Zunge
  • Eine eher tiefe Lage der Zunge
  • Sieht das Zungenband beim Ansaugen der Zunge aus wie der Eiffelturm und heben sich die Ausgänge der Speicheldrüsen deutlich vom Mundboden, dann ist das Zungenband vermutlich verkürzt.

Bei Säuglingen gibt es da deutlich andere Parameter zur Erhebung, die in erster Linie das Stillen bzw. dessen Gelingen betrachten und die Zunge selbst. Tatsächlich stellte sich bei meiner Patientin heraus, dass das Stillen immer mindestens eine Stunde dauerte, bis sie einschlief und nach zwei Stunden das Ganze von vorne losging. Vielleicht hätte das 12 Jahre zuvor schon ein deutlicher Hinweis sein müssen, wenn es denn eine Stillberatung gegeben hätte. Mehr Informationen zu Säuglingen und der Zungenbandproblematik finden Sie hier oder auch auf der Seite Zungenband im Bonusmaterial.

Frau Dr. Meuter stellte tatsächlich fest, dass das Zungenband der Patientin verkürzt ist und operativ getrennt werden sollte – und auch da darf ich dabei sein!

Der zweite Patient zeigte ein ähnliches „Zungenbild“, der Biss ohne erbliche Komponente progen, der Mund ständig offen. Das anteriore Zungenbändchen wurde tatsächlich im Kindergartenalter getrennt, aber vermutlich nicht weit genug. Der behandlende Arzt ist zufrieden mit dem Ergebnis und nun mühen wir uns, die physiologischen Funktionen trotzdem zu erarbeiten.

Patientin Nummer drei hat ein deutlich zu kurzer Zungenbändchen:

Zunge herausstrecken – weiter ging es nicht! Deutliche Zungenimpressionen
Mund auf und Zungenspitze an die Schneidezähne – das sehr kurze Zungenband ist deutlich sichtbar.

Das Einnehmen der Zungenruhelage am harten Gaumen ist nicht möglich und entsprechend auch kein physiologisches Schluckmuster. Diese Zungenband ist tatsächlich seit 15 Jahren niemandem aufgefallen. Die Artikulation ist übrigens klanglich überhaupt nicht beeinträchtigt. Hier muss vor der logopädischen Behandlung zunächst das Zungenbändchen getrennt werden.

Dr. Darius Moghtader, Zahnarzt in Oppenheim, hat mir angeboten in seiner Praxis zu hospitieren und ihm bei seiner Untersuchung und Behandlung von Patienten mit dem Verdacht auf ein verkürztes Zungenband einen Tag lang über die Schulter zu schauen. Dieses Angebot habe ich sehr gerne angenommen! Und wirklich es war ein sehr lehrreicher Tag, in den ich von Anfang an auch fachlich eingebunden war und der mich nachhaltig beeindruckt hat. Alle Säuglinge, die an diesem Tag von Dr. Moghtader untersucht wurden, hatten ein deutlich zu kurzes Zungenband und es gab ganz klar Schwierigkeiten beim Stillen, die nicht nur ein unmittelbares Problem für den Säugling sind, sondern auch Mutter und Vater belasten.

Meine die ersten zwei Monate andauernden Stillprobleme mit meiner eigenen Tochter (wenn auch nicht wegen des Zungenbandes), dem ersten Kind, und die Verzweiflung und das Gefühl des Versagens als Mutter, wenn so etwas Natürliches wie das Stillen einfach nicht klappen will, waren plötzlich wieder ganz nah. So habe ich auch bei der Mutter des ersten, erst wenige Tage alten Säuglings fast genauso mit den Tränen gekämpft, wie sie selbst. Vier Säuglingen sind an diesem Tag mittels Laser in wenigen Sekunden die zu kurzen Zungenbändchen, in einem Fall auch das verkürzte Lippenband, getrennt worden und bei allen gab es eine sofort spürbare Veränderung.

Bei den drei Kindern im Kindergartenalter waren alle drei Fälle auch sehr klar: zweimal deutlich zu kurz und einmal alles bestens. Ein Kleinkind wurde ebenfalls untersucht, jedoch war das Ergebnis hier nicht eindeutig und so wurde zunächst HNO-ärztliche Abklärung empfohlen.

Ich habe hier einen Arzt erlebt, der einen sehr differenzierten Blick auf das Problem hat. Denn man muss beileibe nicht alle Bändchen durchtrennen. Auch mein Zungenbändchen ist zu kurz, habe ich erstaunt zur Kenntnis genommen. Auf meinen Einwurf, dass ich doch aber gar keine Einschränkungen habe, bekam ich die Antwort: „Dann müssen wir ja auch nichts machen!“